Wie kann Sicherheit als gemeinsame Praxis verstanden werden, die nicht auf institutionelle Zuständigkeiten reduziert ist, sondern auf Verantwortung, Vertrauen und geteiltem Wissen beruht?
„… Zusammenarbeit als Praxis des Haltens.“
Die Zusammenarbeit zwischen Awareness-Teams, Sicherheitsdiensten und Behörden ist bislang kaum strukturell verankert. Kooperationen entstehen häufig zufällig und hängen stark von einzelnen Personen ab – etwa davon, ob ein Clubbetreiber offen für Austausch ist, geschlechtersensible Schutzstrukturen aufbauen möchte und die notwendigen Ressourcen bereitstellt. Diese Personalisierung führt zwangsläufig zu Instabilität. Wechseln Verantwortliche oder werden Budgets gekürzt, brechen gewachsene Strukturen oft zusammen.
Kooperationen entstehen häufig informell und beruhen auf persönlichen Beziehungen oder individueller Motivation. Dadurch fehlen verbindliche Prozesse, Kontinuität und institutionelle Verankerung. Nachhaltigkeit hängt von einzelnen Akteur:innen ab, was strukturelle Unsicherheit und Abhängigkeiten erzeugt. Langfristige Zusammenarbeit wird so zur Ausnahme, nicht zur Regel.
Das Verhältnis zwischen staatlichen Institutionen und zivilgesellschaftlichen Akteur:innen ist von Ambivalenzen geprägt. Kooperation kann Vertrauen aufbauen, birgt aber zugleich das Risiko der Vereinnahmung, wenn Macht ungleich verteilt bleibt. Besonders marginalisierte Gruppen sehen sich der Gefahr ausgesetzt, dass ihre Perspektiven symbolisch integriert, aber nicht tatsächlich geteilt werden.
Zwischen zivilgesellschaftlichen Akteur:innen und staatlichen Stellen besteht zudem ein tief verwurzeltes Misstrauen. Teilnehmende beschrieben eine Spannung zwischen Kooperation und Co-Optierung: Dialogformate oder Beteiligungsgremien können einerseits Beteiligung ermöglichen, andererseits aber zur Vereinnahmung in staatliche Prozesse führen, wenn keine gleichberechtigten Entscheidungsstrukturen existieren.
Besonders dort, wo staatliche Institutionen selbst Teil des Problems sind – etwa bei institutionellem Rassismus oder Polizeigewalt –, wird Kooperation zu einem ambivalenten Feld, das Vertrauen in die eigene Community gefährden kann.
Die institutionellen Zuständigkeiten im Sicherheitsfeld sind zudem komplex und fragmentiert. Verwaltung, Ordnungsämter, Polizei und zivilgesellschaftliche Akteur:innen agieren parallel, ohne verbindliche Kooperationsmechanismen.
Entscheidungen hängen häufig von individuellen Beziehungen oder informellen Absprachen ab. Gemeinsame Standards, klare Rollen und ein institutionalisierter Wissenstransfer fehlen. Wenn Mitarbeitende ausscheiden, geht oft das Erfahrungswissen ganzer Projekte verloren.
Erfahrungswissen geht regelmäßig verloren, sobald Mitarbeitende wechseln oder Projekte auslaufen. Mechanismen, um Wissen zwischen Behörden, Sicherheitsdiensten und Awareness-Strukturen zu sichern, existieren kaum. Diese Fragmentierung verhindert Lernprozesse und erschwert die Entwicklung gemeinsamer Standards.
Awareness-Teams und Sicherheitsdienste übernehmen teils widersprüchliche Aufgaben, während Zuständigkeiten unscharf bleiben. In Krisensituationen führt dies zu Unsicherheiten und Doppelstrukturen. Ohne klare Absprachen und ein gemeinsames Verständnis von Verantwortlichkeit werden Konflikte reproduziert statt gelöst.
Beispiele aus der Praxis zeigen jedoch, dass Kooperation gelingen kann, wenn sie bewusst gestaltet wird. Dort, wo Awareness-Strukturen, Ordnungsämter und Sicherheitsdienste in kontinuierlichem Austausch stehen, entstehen Räume gegenseitiger Verantwortung. Diese Ansätze sind bislang jedoch stark von individuellen Haltungen abhängig und strukturell nicht gesichert.
Eine auf Zusammenarbeit ausgerichtete Sicherheitslandschaft basiert auf klar definierten Rollen, geteilter Verantwortung und einer Kultur des Vertrauens. Awareness- und Sicherheitsarbeit sollten nicht als konkurrierende oder getrennte Systeme existieren, sondern als komplementäre Ebenen innerhalb eines gemeinsamen Rahmens von Schutz und Verantwortung verstanden werden.
Kooperation erfordert institutionalisierte Kommunikations- und Entscheidungsstrukturen. Dazu gehören feste Schnittstellen zwischen Awareness-Teams, Sicherheitsfirmen, Verwaltung und Polizei, regelmäßige Briefings sowie strukturierte Nachbesprechungen. Wissensaustausch darf nicht dem Zufall überlassen bleiben, sondern muss dauerhaft abgesichert sein – etwa durch gemeinsame Fortbildungen, interdisziplinäre Trainings oder rotierende Austauschformate, die auch marginalisierte Perspektiven einbeziehen.
Zentrale Voraussetzung gelingender Zusammenarbeit ist Beziehungsarbeit. Zivilgesellschaftliche Expertise sollte als gleichwertige Ressource anerkannt werden, nicht als Ergänzung. Das bedeutet, Community-basiertes Erfahrungswissen aktiv in Sicherheitskonzepte einzubinden und Verantwortung für Sicherheit gerecht zu verteilen. Kooperation wird so zu einer Haltung, die auf geteiltes Lernen, gegenseitige Anerkennung und gemeinsame Entscheidungsfähigkeit zielt.
Ein Berliner Awareness-Anbieter empfiehlt, zu Beginn einer Veranstaltung transparent festzulegen, wie Awareness- und Security-Aufgaben verteilt sind. Klare Rollentrennung kann hilfreich sein, etwa bei unterschiedlichen Kompetenzen. Genauso kann ein gemeinsames Team gut funktionieren – vorausgesetzt, Vertrauen, Kommunikation und Werte stimmen. Entscheidend ist, die Aufgabenverteilung flexibel an Kontext und Team anzupassen. So entsteht Sicherheit als gemeinsame, fürsorgliche Praxis.
Ein behördlicher Akteur beschreibt, dass bei Veranstaltungen mit erhöhtem Risiko im öffentlichen Raum ein Verfahren etabliert wurde, bei dem Akteur:innen vor Ort, Awareness-Strukturen sowie Polizei und Ordnungsamt bereits im Vorfeld zu einem gemeinsamen Lage-Briefing zusammenkommen. Ziel ist es, vor Veranstaltungsbeginn klare Zuständigkeiten zu definieren und Vertrauen aufzubauen.
Bestehende Modelle zeigen, dass solche Formen der Zusammenarbeit praktikabel sind. In mehreren Kontexten haben Awareness-Teams und Sicherheitskräfte Strukturen entwickelt, die sich gegenseitig entlasten, anstatt sich zu ersetzen. Diese Praxis kann als Blaupause für ein System dienen, das Sicherheit nicht delegiert, sondern kollektiv herstellt – relational, reflektiert und verantwortungsvoll.
01. Ausbildung (neu) denken
→ Learning Security
02. Zusammenarbeit gestalten
→ Holding Relations
03. Kollektive Sicherheit leben
→ Building Safety Together
04. Sicherheit anders entscheiden
→ Deciding with Care
Von der Ausnahme zur Struktur
→ Weaving Otherwise
Credits & Team