04. Sicherheit anders entscheiden

→ Deciding with Care

[Leitende Frage]

Wie kann Sicherheit als gemeinsames Entscheiden verstanden werden – als Haltung geteilter Verantwortung statt fortgeschriebener Ungerechtigkeit?

„… Sicherheit als ethisches Entscheidungsmoment.“

Das Verhältnis zwischen Awareness-Teams und Sicherheitsdiensten ist von Spannungen geprägt. Beide arbeiten oft im selben Raum, aber nach unterschiedlichen Logiken. Während Awareness auf Beziehung, Zuhören und Inklusion setzt, orientiert sich klassische Sicherheitsarbeit an Kontrolle, Hierarchie und dem Entfernen von Gefahren. Diese Gegensätze führen im Einsatzalltag zu Spannungen und machen deutlich, dass Sicherheit nicht nur eine technische, sondern auch eine politische und ethische Frage ist.

[Key problem field #1]

Awareness und Security folgen unterschiedlichen Logiken (Einschluss vs. Ausschluss) und arbeiten selten abgestimmt. Diese Trennung fragmentiert Schutzkonzepte und lässt Widersprüche zwischen Care und Kontrolle im Einsatzalltag unaufgelöst. Eine fehlende Verzahnung erschwert gemeinsame Entscheidungsfähigkeit in kritischen Momenten.

[Key problem field #2]

Fehlende Definitionen und Schnittstellen führen zu Unsicherheiten und Konflikten, besonders in Krisensituationen. Die unklare Verantwortlichkeit beeinträchtigt sowohl den Schutz Betroffener als auch die Handlungsfähigkeit der Teams. Klare Absprachen und Entscheidungswege sind bislang selten institutionell verankert.

In der Praxis zeigt sich, dass Awareness und Security häufig getrennt organisiert sind – oder dort, wo sie zusammenarbeiten, unklare Zuständigkeiten bestehen. Manche Expert:innen sehen in der strukturellen Zusammenführung Probleme, da Interessenkonflikte entstehen und Betroffene wie potenzielle Verursachende nicht ausreichend geschützt werden können. Andere wiederum sehen in der Verbindung von Awareness und Security einen Mehrwert, denn sie ermöglichen ganzheitliche Schutzkonzepte, kurze Kommunikationswege und ein abgestimmtes Handeln im Notfall.

Entscheidend ist dabei weniger, ob die Bereiche getrennt oder gemeinsam organisiert sind, sondern die Gestaltung der Rahmenbedingungen. Klare Zuständigkeiten, festgelegte Kommunikationswege und ein gemeinsames Verständnis von Verantwortung sind ausschlaggebend dafür, ob das Zusammenspiel gelingt. Ebenso hängt die Wahl des Konzepts stark vom jeweiligen Kontext ab – also davon, wo eine Veranstaltung stattfindet, wen sie anzieht und welche Dynamiken und Risiken damit verbunden sind.

Nur wenn diese Faktoren in die Planung einbezogen werden, kann ein Sicherheitskonzept entstehen, das situativ und gerecht ist, eines, das mit Care entscheidet und nicht bloß reagiert.

Awareness-Teams beschreiben ihren Ansatz als „dafür sorgen, dass alle bleiben können und eine gute Zeit haben“. Sicherheitsdienste hingegen arbeiten mit Ausschlusslogiken, die auf Ordnung und Kontrolle beruhen. Wo Security interveniert, zieht Awareness Grenzen neu.

[Key problem field #3]

In Gefahrensituationen dominieren weiterhin hierarchische Entscheidungsstrukturen, die den Anspruch auf Gleichberechtigung und gemeinsame Verantwortung begrenzen. Machtasymmetrien zwischen Awareness und Security spiegeln gesellschaftliche Hierarchien wider, wodurch Care-Perspektiven strukturell nachgeordnet bleiben.

[Key problem field #4]

Awareness-Arbeit wird gesellschaftlich häufig als „weich“ oder ergänzend wahrgenommen, während autoritäre Männlichkeitsbilder und Vorstellungen von Stärke das Feld der Sicherheit prägen. Diese symbolische Hierarchie prägt auch die Verteilung von Ressourcen und Zuständigkeiten und erschwert so die Etablierung ganzheitlicher Schutzkonzepte.

Hinzu kommt eine symbolische Schieflage: Sicherheit gilt gesellschaftlich weiterhin als Ausdruck von Autorität und Stärke, während Awareness als „weich“ und ergänzend verstanden wird. Diese Wahrnehmung erschwert die strukturelle Gleichstellung beider Ansätze und schwächt ihren gemeinsamen Beitrag zu Sicherheit als sozialem Prozess.

Eine fürsorgeorientierte Sicherheitsarbeit stützt sich auf gemeinsame Entscheidungsstrukturen, gegenseitige Anerkennung und klar definierte Verantwortlichkeiten. Awareness und Security sind dabei keine Gegensätze, sondern ergänzen sich als Funktionen innerhalb eines gemeinsamen Verantwortungsraums.

Ein holistisches Sicherheitsverständnis begreift Schutz zudem als relationales Geschehen: Sicherheit entsteht dort, wo physische, emotionale und soziale Dimensionen miteinander verflochten sind. Voraussetzung dafür sind verbindliche Kommunikationsstandards, klare Rollenabsprachen und kontinuierliche gemeinsame Trainings, die ein geteiltes Verständnis von Handlungslogiken fördern. Teams sollten so zusammengesetzt sein, dass unterschiedliche Kompetenzen – psychologische, soziale und sicherheitstechnische – sich ergänzen und in Krisensituationen koordiniert wirken können.

In diesem Verständnis bedeutet Sicherheit nicht Überwachung, sondern Begleitung. Sie richtet sich nicht gegen, sondern an Menschen. Awareness-Arbeit wird damit zu einer professionellen Haltung, die Differenz, Ambivalenz und Konflikt als Bestandteil sozialer Räume anerkennt, anstatt sie zu verdrängen. Entscheidungen in Krisenmomenten bleiben notwendig, werden aber im Vorfeld gemeinsam vorbereitet, reflektiert und getragen.

[Best Practice 1]

Eine Expert*in für feministische Sicherheitsarbeit beschreibt ein Modell, bei dem Awareness-Personen die Befugnis haben, in kritischen Situationen temporäre Hausverbote auszusprechen – unabhängig von Security-Freigaben. Diese Praxis wurde in einem Clubkontext erprobt und wird dort als Schutzmaßnahme für marginalisierte Personen angesehen.

[Best Practice 2]

Ein Awareness-Team berichtet, dass bei einem Festival im Vorfeld klar definiert wurde, wo die Verantwortung des Awareness-Teams endet und die der Security beginnt. Im gemeinsamen Briefing wurde festgelegt, dass bestimmte Situationen – etwa bei körperlicher Eskalation oder konkreten Bedrohungslagen – unmittelbar an die Security übergeben werden. Um Missverständnisse zu vermeiden, wurde die Security umfassend über die Rolle und Arbeitsweise des Awareness-Teams informiert. Dieses Verfahren entlastete beide Seiten und sorgte dafür, dass Entscheidungen situativ und in gegenseitigem Vertrauen getroffen werden konnten

Ein möglicher Ansatz liegt darin, Sicherheitspersonal in Awareness-Kompetenzen zu schulen und Awareness-Teams mit Grundkenntnissen im Sicherheitsbereich auszustatten. So bleibt dort, wo es sinnvoll ist, eine organisatorische Trennung bestehen, während gleichzeitig ein vertieftes Verständnis für die jeweiligen Perspektiven, Herausforderungen und Handlungslogiken entsteht. Dieser Ansatz kann als pragmatische Lösung dienen, um Kooperation, Vertrauen und Sensibilität zu stärken.

Eine geteilte Sicherheitskultur erfordert Zeit, Vertrauen und institutionelle Offenheit. Wo Sicherheit nicht mehr primär mit Kontrolle, sondern mit Verantwortung, Fürsorge und kollektiver Entscheidungsfähigkeit verknüpft wird, entsteht Raum für eine emanzipatorische Praxis – eine Praxis, die Schutz als gemeinsames, lernendes Verhältnis versteht.

Startseite

Projekteinleitung

01. Ausbildung (neu) denken
→ Learning Security

02. Zusammenarbeit gestalten

→ Holding Relations

03. Kollektive Sicherheit leben
→ Building Safety Together

04. Sicherheit anders entscheiden

→ Deciding with Care

Von der Ausnahme zur Struktur

→ Weaving Otherwise


Credits & Team