03. Kollektive Sicherheit leben

→ Building Safety Together

[Leitende Frage]

Wie kann Fürsorge zu einer geteilten Infrastruktur werden, die Sicherheit nicht delegiert, sondern kollektiv hervorbringt und erhält?

„… kollektive Sicherheit als Care- und Empowerment-Prozess.“

Community-basierte Sicherheitsarbeit ist in Deutschland nur punktuell strukturell verankert. Viele Initiativen entstehen aus eigenem Bedarf, häufig als Reaktion auf fehlenden Schutz, Diskriminierungserfahrungen oder institutionelles Versagen. Die Rahmenbedingungen bleiben prekär: befristete Förderung, geringe Bezahlung und hohe Abhängigkeit von Einzelpersonen. Dadurch entstehen fragile Strukturen, die beim Wegfall zentraler Akteur:innen schnell erodieren.

[Key problem field #1]

Ob Strukturen bestehen bleiben, hängt in der Praxis häufig von einzelnen engagierten Personen und befristeten Projektmitteln ab. Ohne strukturelle Förderung und institutionelle Einbettung brechen gewachsene Praktiken bei Personalwechseln oder Mittelknappheit weg. Die Folge sind diskontinuierliche Angebote, die gerade in Krisenzeiten nicht verlässlich greifen.

[Key problem field #2]

Ungleiche Zugänge zu Verwaltungs-, Vergabe- und Förderwissen wirken als systematische Barrieren. Codes, Fristen und Formate entscheiden über Mitwirkung und Finanzierung, nicht die Qualität der Schutzpraxis. Erst wenn Verwaltungswissen als Teil von Sicherheitskompetenz anerkannt und vermittelt wird, entsteht reale Teilhabe.

Ökonomische und regulatorische Logiken verstärken diese Fragilität. In der Auftragsvergabe dominieren Preiswettbewerb und Quantität statt nachweislicher Qualität. Subventionierte Lohnmodelle senken kurzfristig Kosten, unterlaufen jedoch Standards. Die Anreizstrukturen belohnen Kostensenkung statt Professionalität. Gleichzeitig werden Care- und Awareness-Tätigkeiten symbolisch aufgewertet, aber finanziell kaum abgesichert. So entsteht ein Widerspruch zwischen normativer Erwartung und materieller Ausstattung.

[Key problem field #3]

Zugehörigkeit garantiert keine Sicherheit. Interne Differenzen, ungleiche Machtpositionen und unbehandelte Konflikte führen zu Fragmentierung und Rückzug. Kollektive Sicherheit erfordert daher Verfahren der Konfliktbearbeitung, die Perspektivenvielfalt anerkennen und Schutzansprüche transparent austarieren.

[Key problem field #4]

Ein großer Teil der Care- und Awarenessarbeit wird von marginalisierten Personen geleistet, bleibt aber unbezahlt oder unterfinanziert. Diese Unsichtbarkeit schwächt Schutzinfrastrukturen und führt zu Burnout, Fluktuation und Wissensverlust. Faire Entlohnung und institutionelle Verankerung sind Grundvoraussetzungen für Verlässlichkeit und Qualität.

Teilhabe scheitert oft nicht am Engagement, sondern an ungleichen Zugängen zu Verwaltungs- und Förderwissen. Bürokratische Codes, Antragslogiken und rechtliche Verfahren wirken als Gatekeeper. Ohne systematischen Wissenstransfer bleibt die institutionelle Mitgestaltung marginaler Gruppen eingeschränkt, obwohl diese über wirksame Schutzpraktiken verfügen.

Der Begriff “Community” ist zudem ambivalent. Zugehörigkeit erzeugt nicht automatisch Vertrauen oder Sicherheit. Auch innerhalb marginalisierter Gruppen bestehen Differenzen, Machtasymmetrien und Ausschlüsse. Nicht jeder als sicher verstandene Raum ist für alle sicher.

[Key problem field #5]

Ausschreibungen bevorzugen häufig den niedrigsten Preis und hohe Personalkapazität, statt nachweislicher Kompetenz. Subventionierte Lohnmodelle und uneinheitliche Zertifikate erzeugen trügerische Qualitätsversprechen. Ohne überprüfbare Kriterien für Awareness und Deeskalation bleibt Qualität kontingent.

[Key problem field #6]

Community-Wissen wird oft angefragt, aber nicht in Entscheidungsbefugnisse überführt. Beteiligung beschränkt sich auf Gremien oder Pilotprojekte, während verbindliche Zuständigkeiten, Budgets und Sanktionsmöglichkeiten fehlen. So entsteht Sichtbarkeit ohne Wirkung und Anerkennung ohne Einfluss.

Wo Konflikte nicht bearbeitet werden, kommt es zu Rückzug und Fragmentierung. Gleichzeitig bleibt ein erheblicher Teil der Sorgearbeit unsichtbar oder unbezahlt, obwohl sie die Infrastruktur kollektiver Sicherheit faktisch trägt.

Ein Caring-Ansatz versteht Sicherheit als kollektive Verantwortung und als Infrastruktur, die finanziell gesichert, sichtbar und geteilt werden muss. Das setzt Qualität vor Quantität in Beschaffung und Vergabe. Die Vergabekriterien sollten neben fachlicher Qualifikation verbindliche Antidiskriminierungs-, Awareness- und Deeskalationskompetenzen sowie Datenschutz- und Digitalkompetenzen umfassen. Qualitätsmerkmale müssen überprüfbar sein und in Verträgen sowie Ausschreibungen fest als Vergabekriterien verankert werden.

Strukturelle Förderung sollte Community-Organisationen in die Lage versetzen, Standards mitzuentwickeln. Dazu gehören unabhängige Beiräte, verbindliche Beschwerdewege, Schutzfonds, rechtliche Erstberatung und lokale Allianzen, die auf kollektive Resilienz abzielen. Da Wissens- und Verwaltungskompetenz Teil von Sicherheitskompetenz sind, braucht es dauerhafte Programme für Transfer, Übersetzung und Begleitung, damit Community-Wissen institutionell wirksam werden kann.

[Best Practice 1]

Eine Initiative in Berlin hat ein interdisziplinäres Awareness-Team aufgebaut, in dem Personen mit psychosozialem, medizinischem und community-basierten Hintergrund gemeinsam agieren. Das Team begleitet nicht nur Diskriminierungsfälle, sondern auch Erfahrungen wie Einsamkeit, Panikattacken oder Unsichtbarkeit. Die Kombination dieser Kompetenzen stärkt die kollektive Fürsorgepraxis.

[Best Practice 2]

Eine Sicherheitsfirma beschreibt die bewährte Praxis, in vulnerablen Kontexten mit einer zweisprachigen, community-nahen Vertrauensperson zu arbeiten. Diese Person fungiert als Brücke zwischen Sicherheitsstruktur und Community und kann kulturelle sowie sprachliche Barrieren abbauen. Das hat laut der interviewten Person zu erhöhter Akzeptanz geführt.

Kollektive Sicherheit braucht Räume, in denen Konflikte nicht als Störungen, sondern als Chancen für Veränderung und gemeinsames Lernen verstanden werden. Vertrauensbildung entsteht durch kontinuierliche Beziehungsarbeit, transparente Verfahren und nachvollziehbare Verantwortungszuweisung. So wird die Verantwortung für Sicherheit nicht delegiert, sondern gemeinsam hergestellt. Care wird zur professionellen Praxis, die Schutz, Teilhabe und Handlungsfähigkeit verbindet.

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Projekteinleitung

01. Ausbildung (neu) denken
→ Learning Security

02. Zusammenarbeit gestalten

→ Holding Relations

03. Kollektive Sicherheit leben
→ Building Safety Together

04. Sicherheit anders entscheiden

→ Deciding with Care

Von der Ausnahme zur Struktur

→ Weaving Otherwise


Credits & Team