01. Ausbildung (neu) denken

→ Learning Security

[Leitende Frage]

Wie kann Ausbildung zu einem Ort werden, an dem Sicherheit als demokratisches Gut – nicht als Kontrolle – verstanden und erlernt wird?

„… weil es um das Erlernen einer neuen Haltung zu Sicherheit geht.“

Die derzeitigen Ausbildungsstandards im Sicherheitsgewerbe sind unzureichend, oberflächlich und stark technikorientiert. Der §34a-Schein, die gesetzlich vorgeschriebene Qualifikation für Beschäftigte im Sicherheitsgewerbe, widmet dem „Umgang mit Menschen“ lediglich ein Kapitel, das häufig auf stereotype Handlungsanweisungen reduziert bleibt – etwa zum Umgang mit wohnungslosen Personen oder konsumierenden Menschen. Eine fundierte Auseinandersetzung mit Diversität, gesellschaftlichen Machtverhältnissen sowie mit Rassismus- oder Sexismuserfahrungen als Teil professioneller Handlungskompetenz fehlt weitgehend.

Das Prüfungswesen verschärft diese Defizite: Es wird überwiegend von ehrenamtlichen Strukturen getragen – meist von älteren weißen Männern, die über die zeitlichen und finanziellen Ressourcen verfügen, um diese Tätigkeit auszuüben.

[Key problem field #1]

Zertifikate suggerieren Qualität, ohne sie zu gewährleisten. Prüfungsstrukturen sind homogen besetzt und reproduzieren bestehende Ausschlüsse. Das Fehlen verbindlicher Standards führt zu einer unübersichtlichen Zertifikatslandschaft, die Transparenz und Vergleichbarkeit untergräbt. Die  formale Qualifikation verkommt dadurch zu einem symbolischen, inhaltlich entleerten Gütesiegel.

[Key problem field #2]

Niedrige Löhne, unklare Karriereperspektiven und fehlende Kostenübernahme verhindern Weiterbildung. Wer über geringe finanzielle oder zeitliche Ressourcen verfügt, bleibt dauerhaft ausgeschlossen. Diese strukturelle Prekarität mindert nicht nur individuelle Chancen, sondern auch die Qualität der Sicherheitsarbeit, da Erfahrungswissen und Diversität systematisch verloren gehen.

Dadurch entsteht eine implizite Selektion, die bestehende Perspektiven und Bewertungsmaßstäbe verstetigt. Zugleich gilt ein Zertifikat weithin als Qualitätsgarant – obwohl der Begriff rechtlich nicht geschützt ist. Jede Institution kann eigene Nachweise ausstellen, was zu einer großen Varianz und geringer Überprüfbarkeit führt.

Anders verhält es sich bei der Sachkundeprüfung nach § 34a GewO. Hier erfolgt die Abnahme ausschließlich durch die Industrie- und Handelskammern (IHK). Bildungsträger können zwar auf die Prüfung vorbereiten, doch nur die IHK selbst ist befugt, die Sachkunde offiziell zu bescheinigen.

Auch Diskriminierung aufgrund der sozialen Herkunft wirkt als Barriere: Wer nicht die notwendige Zeit, das Geld oder die sprachlichen Voraussetzungen mitbringt, hat kaum Zugang zu Weiterbildung.

Community-Wissen, migrantische und queere Expertise bleiben häufig unsichtbar oder werden von etablierten Akteur:innen übernommen, ohne Rückbindung an ihre Quellen – eine Form epistemischer Nutzbarmachung ohne Anerkennung.

Awareness-Arbeit wird dabei zunehmend als bloße Zusatzleistung vermarktet, ohne dass Mitarbeitende entsprechend geschult werden. Sie fungiert als Marketinginstrument statt als gelebter Standard. Der politische Wille, diese Missstände zu beheben, ist gering. Reformen der IHK-Rahmenpläne gelten als „unmöglich“, obwohl sie rechtlich durchführbar wären. Es fehlt nicht an Bedarf, sondern an Bereitschaft, Professionalität im Sinne von Deeskalation, Antidiskriminierung und Trauma-Sensibilität strukturell zu verankern.

[Key problem field #3]

Awareness wird zunehmend vermarktet, ohne dass entsprechende Kompetenzen vermittelt werden. Dadurch entstehen trügerische Sicherheitsversprechen, die Betroffene wie Mitarbeitende gefährden. Wenn Awareness zum Marketinglabel degradiert wird, verlieren Schutz und Care ihren politischen und praktischen Gehalt und werden Teil einer neoliberalen Dienstleistungslogik.

Ein zukunftsfähiges Ausbildungsverständnis muss sich an einem erweiterten Kompetenzrahmen orientieren. Dazu gehört die Einführung eines eigenständigen Awareness-Scheins – analog zum §34a -, jedoch mit Schwerpunkt auf diskriminierungskritische, soziale und machtkritische Kompetenzen.

Ein solcher Nachweis könnte verbindlich machen, was bislang ehrenamtlich oder unsichtbar geleistet wird: Wissen über Deeskalation, Diversität, psychische Krisenintervention und Betroffenenorientierung.

Zentral ist zudem die Anerkennung von Community-Wissen als Expertise. Marginalisierte Communities verfügen über erprobte Schutz-  und Fürsorgepraktiken – oft lange bevor Sicherheitsinstitutionen diese Ansätze übernommen haben. Eine strukturelle Förderung muss gewährleisten, dass diese Akteur:innen nicht nur beteiligt, sondern als Mitgestaltende anerkannt werden. Auch das Prüfwesen bedarf einer grundlegenden Reform, bei der Prüfkommissionen divers besetzt und durch unabhängige Beiräte ergänzt werden, die Betroffenenperspektiven systematisch einbringen.

[Best Practice 1]

Eine Sicherheitsfirma aus Norddeutschland hat sich entschieden, Mitarbeitende nicht nur über den klassischen § 34a-Schein zu qualifizieren, sondern zusätzlich ein internes Weiterbildungsprogramm zu etablieren. Das Programm basiert auf erprobtem Erfahrungswissen und beinhaltet regelmäßige kollektive Reflexionen. Dabei geht es nicht darum, dass alle auf demselben Wissensstand sind, sondern dass sich alle in einem ständigen Lernprozess befinden.

[Best Practice 2]

Eine Person, die als Koordinator*in für Sicherheit und Awareness tätig ist, setzt sich dafür ein, dass Personen mit Awareness-Zuständigkeit Zugang zu systematischer Supervision und Fortbildung erhalten. Im Rahmen von öffentlichen Fördermitteln wurde erfolgreich ein Fortbildungsbudget für Awareness- und Begleitpersonen etabliert. Der Ansatz: Sicherheit beginnt bei der Selbstsorge des Teams.

Zugänge zu Ausbildung und Weiterbildung müssen barrierefrei sein – durch Kostenübernahmen, Sprachmittlung und flexible Modelle, die Menschen mit unterschiedlichen Hintergründen gezielt einbeziehen. Lernen wird so zu einem gemeinsamen Prozess, in dem Fürsorge, Beziehungswissen und Verantwortungsbewusstsein als fachliche Kompetenz gelten. Awareness ist keine Zusatzqualifikation, sondern Teil einer Haltung, die Sicherheit als gemeinsames Kümmern und geteilte Verantwortung versteht.

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Projekteinleitung

01. Ausbildung (neu) denken
→ Learning Security

02. Zusammenarbeit gestalten

→ Holding Relations

03. Kollektive Sicherheit leben
→ Building Safety Together

04. Sicherheit anders entscheiden

→ Deciding with Care

Von der Ausnahme zur Struktur

→ Weaving Otherwise


Credits & Team