Wie werden aus utopischen Entwürfen praxisnahe Gegenentwürfe?
Die Gespräche, Workshops und Analysen eröffnen einen gemeinsamen Horizont: Sicherheit wird nicht als hoheitliche Aufgabe oder private Dienstleistung verstanden, sondern als gesellschaftliche Verantwortung, die geteilt, gestaltet und begleitet werden muss.
Die Visionen, die sich abzeichnen, sind keine utopischen Entwürfe, sondern konkrete Gegenmodelle zur gegenwärtigen Praxis. Sie zeigen, wie Sicherheit aussehen kann, wenn sie auf Gerechtigkeit, Beziehung und Fürsorge aufbaut.
Wie kann Ausbildung zu einem Ort werden, an dem Sicherheit als demokratisches Gut – nicht als Kontrolle – verstanden und erlernt wird?
Ein zentrales Anliegen ist die Neuorientierung von Ausbildung und Qualifikation. Die bestehenden Lehrpläne und Prüfstrukturen reduzieren Sicherheit auf Technik und Gehorsam, statt auf Reflexion und Verantwortung.
Gefordert werden ein eigenständiger Awareness-Schein oder verpflichtende Erweiterungen bestehender Zertifikate um Module zu Diversität, Deeskalation und Antidiskriminierung. Damit soll eine Ausbildung gefördert werden, die Sicherheit als soziale Kompetenz versteht und Konflikte deeskalierend, diskriminierungssensibel und gerecht bearbeitet.
Ebenso zentral ist die Anerkennung von Community-Wissen als Expertise. Nur wenn das Wissen derjenigen, die Schutzarbeit tagtäglich praktizieren, institutionell anerkannt und entlohnt wird, kann Ausbildung zu einem Ort werden, an dem Sicherheit als demokratische Praxis gelebt wird.
Wie lässt sich Sicherheit als gemeinsame Praxis denken – jenseits starrer institutioneller Zuständigkeiten, hin zu einem Gewebe aus Verantwortung, Vertrauen und geteiltem Wissen
Kooperation zwischen Awareness-, Sicherheits- und Verwaltungsstrukturen gelingt dort, wo sie auf Beziehungen statt auf Hierarchie basieren.
Eine gerechte Sicherheitskultur erfordert keine Einheit, sondern Koordination von verbindlichen Kommunikationswegen, gegenseitiger Anerkennung und geteilter Verantwortung.
Mehrfach kam in den Gesprächen die Idee eines Berufsverbands auf – als Struktur, die Qualität, Interessenvertretung und politische Lobbyarbeit vereint.
Ein solcher Verband könnte verbindliche Mindeststandards entwickeln, ein Siegel für diskriminierungskritische Sicherheitsarbeit vergeben und die Interessen von Awareness- und Sicherheitsakteur:innen gegenüber Politik und Förderinstitutionen vertreten.
Die Teilnehmenden betonten, dass ein solcher Aufbau nur funktioniert, wenn er zeitlich und finanziell abgesichert ist, etwa durch Stiftungsförderung oder gezielte Anschubfinanzierung. Ohne Ressourcen bleibt die Forderung symbolisch.
„Wer außer wir?“
Dieses Zitat bringt den Kern auf den Punkt: Diejenigen, die Sicherheits- und Awarenessstrukturen täglich gestalten, müssen die Bedingungen ihrer Arbeit selbst mitbestimmen können.
Kooperation bedeutet hier nicht Anpassung, sondern Mitgestaltung bestehender Strukturen als Akt kollektiver Verantwortung und demokratischer Selbstermächtigung.
Wie kann Fürsorge zu einer geteilten Infrastruktur werden, die Sicherheit nicht delegiert, sondern kollektiv hervorbringt und erhält
Kollektive Sicherheit entsteht, wenn Care-Arbeit als tragendes Fundament gesellschaftlicher Stabilität verstanden wird. Sie ist weder Luxus noch Zusatz, sondern eine Bedingung jeder Form von Schutz.
Realistisch und zugleich visionär ist eine Sicherheitslandschaft, in der Fürsorge finanziell, institutionell und symbolisch verankert ist.
Das bedeutet faire Bezahlung, kontinuierliche Förderung, Schutzfonds und Beschwerdemechanismen, die Vertrauen ermöglichen.
Communitys sollen dabei nicht nur reagieren, sondern gestalten können – durch Mitsprache in Standardisierungsprozessen, eigene Organisationsstrukturen und lokale Allianzen.
Sicherheit wird so zu einer kollektiven Praxis der Begleitung, die aus Beziehungen entsteht, nicht aus Hierarchien.
Wie kann Sicherheit als gemeinsames Entscheiden verstanden werden, als Haltung, die Verantwortung teilt, statt Ungerechtigkeitssysteme zu reproduzieren?
Sicherheit, verstanden als geteilte Entscheidung, bedeutet, Macht als Beziehung zu begreifen. Sie entsteht, wenn Verantwortung nicht zentralisiert, sondern gemeinsam getragen wird. Das schließt ein, dass politische, wirtschaftliche und institutionelle Akteur:innen Rechenschaft darüber ablegen, wie Sicherheit hergestellt wird, wem sie zugutekommt und wen sie ausschließt.
Gefordert ist eine klare politische Verantwortung für faire Bezahlung, Ausbildung und Kontrolle, verbunden mit der Stärkung lokaler und gemeinschaftsbasierter Lösungen. So verstanden wird Sicherheit zu einem sozialen Transformationsprozess. Sie verwaltet nicht, sie verändert. Awareness-Arbeit wird zum ethischen Kompass und zu einer Praxis, die Sicherheit in Beziehung denkt und Fürsorge als politische Aufgabe begreift
„Sicherheit heißt, dass alle bleiben können und eine gute Zeit haben.“
Diese Definition steht für den utopischen Kern dieser Arbeit: Sicherheit als Praxis des Bleibens und Erhaltens, nicht des Ausschlusses.
Der Holistic-Security-Prozess hat verdeutlicht, dass Sicherheit im öffentlichen Raum nicht allein durch Kontrolle, Technik oder Vorschriften entsteht, sondern durch Vertrauen, Beziehung und kollektive Verantwortung. In der Zusammenarbeit von Awareness-Strukturen, Sicherheitsdiensten, Verwaltung und Zivilgesellschaft wurde spürbar, wie viel ungenutztes Wissen und wie viele Ressourcen in den Communities selbst liegen – Wissen, das bislang selten als Expertise anerkannt wird, aber die Grundlage gerechter Sicherheitskulturen bildet.
Der Prozess hat gezeigt, dass Sicherheit nicht als festes System gedacht werden kann, sondern als lebendiger, sozialer Prozess: ein Zusammenspiel von Care, Machtteilung und institutioneller Anerkennung von Community-Praxis. Dadurch ist ein neues Verständnis von Sicherheit entstanden – eines, das Schutz nicht als Abwehr, sondern als Beziehung begreift.
Für die Zukunft öffentlicher Sicherheit bedeutet das, neue Fragen zu stellen, statt alte Antworten zu wiederholen: Wie kann Fürsorge zur Strukturbedingung werden? Wie kann Sicherheit geteilt werden, anstatt delegiert zu werden? Und wie kann institutionelles Handeln Vertrauen fördern, statt Kontrolle zu verstärken?
Diese Fragen markieren nicht das Ende, sondern den Übergang in eine neue Phase – in der Sicherheit zu einem gemeinsamen Lernfeld wird: offen, dynamisch und getragen von der Vorstellung, dass gerechte Sicherheit nicht nur schützt, sondern verändert, was Gesellschaft sein kann.
Die folgenden Akteur:innen sind eine Auswahl der Partner:innen, mit denen wir in Labs, Gesprächen und Entwicklungsprozessen gemeinsam gedacht, erprobt und gesponnen haben. Gemeinsam gestalten sie das breite Feld der Sicherheitsarchitektur bereits heute gerechter, solidarischer und verantwortungsvoller. Ihre Arbeit steht für die Kraft kollektiver Praxis – dort, wo Wissen, Erfahrung und Haltung zusammenwirken.
01. Ausbildung (neu) denken
→ Learning Security
02. Zusammenarbeit gestalten
→ Holding Relations
03. Kollektive Sicherheit leben
→ Building Safety Together
04. Sicherheit anders entscheiden
→ Deciding with Care
Von der Ausnahme zur Struktur
→ Weaving Otherwise
Credits & Team